Geschätzte Vernetzte,

anläßlich des Unfalltodes von Lady Diana Spencer möchte ich einige Gedanken ins Netz schicken, die ich in meinem zweiten Programm als kleine Nummer eingeflochten habe.

Wir haben ja im Abendland einige geistige Errungenschaften vollbracht, derer wir uns gerne in die Brust werfen; eine dieser Errungenschaften ist die Trennung von Privatem und Öffentlichem. - Die Trennung von Privatem und Öffentlichem ist ein Kulturgut; - vielleicht nicht so offensichtlich wie die Demokratie, aber sicher so wichtig wie ein Mindestmaß an Umgangsformen. Es ist eben wichtig, daß man sich bei seinen Gefühlsäußerungen aussuchen kann, wer sie sieht, und genauso wichtig ist, daß man sich aussuchen kann, wessen Gefühlsäußerungen man sich anschaut. Ich denke, jeder Mensch besitzt soviel Anstand, daß er nicht auf irgend eine Hochzeit geht, sich neben den Priester hinstellt und das Brautpaar anstarrt, um ein Gefühl zu sehen, niemand würde es wagen, auf irgend ein fremdes Begräbnis zu gehen, sich vor den Trauernden aufzupflanzen und die anzuglotzen, nur damit er jemanden wirklich weinen sieht. - Das Fernsehen aber und manche Zeitschriften tun genau das. Ich möchte den aufklärerischen oder zumindest informativen Aspekt von Kriegsberichterstattung einmal ausklammern, ich rede davon, daß sich das Fernsehen selbst zu den Eltern von irgendwelchen Schirennläufern einlädt, und dann während der Live-Übertragung diesen Eltern mit der Kamera zuschaut. ("Jössas!, Mamma, da Bua!") - Ganz nah und ganz deutlich zeigt mir die Kamera jemanden, den ich nicht kenne, und der vor allem mich nicht kennt, bei tiefsten Empfindungen. - Es geht mich nichts an! Mich und alle Fernsehzuschauer geht das nichts an! - Oder es gibt Zeitschriften, deren Reporter den Hausmüll von Prominenten durchwühlen und den dann vierfarbig und kommentiert abdrucken, und es gibt Fernsehsendungen, da werden Menschen eingeladen, sich bis an die Grenze der körperlichen Belastbarkeit zu verausgaben, und weil es dabei um viel Geld geht, tun die das dann auch, und die Kamera immer voll drauf! "Alles echt! Kein doppelter Boden! - Dieses Paar hat nicht gewonnen! Sie können nicht nur kaum noch atmen, nein! - Sie sind auch richtig verzweifelt! - Das seh´n wir uns näher an, da woll´n wir ganz nah ´ran, sowas sieht man nicht alle Tage, das wollen wir ganz genau sehen!" - Um jemandem in Momenten des Glücks oder der Verzweiflung so nahe sein zu dürfen, muß ich schon mit ihm gemeinsam in die rhetorische Sandkiste geschissen haben. - Natürlich wird da eingewendet: " Ja, das ist halt das wirkliche Leben! Das Fernsehen zeigt nur das, was wirklich ist! Natürlich hätten wir das alle gern, wenn es noch eine Privatsphäre gäbe, aber die gibt es halt nicht mehr, dafür kann man das Fernsehen doch nicht verantwortlich machen!" - Aso. Kann man nicht!? - Ich weiß nicht, wie geht das? Wie kommen Millionen Menschen gleichzeitig auf die Idee, daß es nichts mehr gibt, was nur zwei Menschen und sonst niemanden etwas angeht? Wie funktioniert das?! - Geht da einer von Tür zu Tür, läutet an, und sagt: "T´schuidign, äh, Privatsphäre - is vorbei!" Und die Leute sagen darauf: "Aha, na is auch gut." Und wenn er alle durch hat, geht er zum Fernsehen und sagt: "Die andern wissen´s schon, jetzt sag´ ich´s Ihnen auch; Privatsphäre is gestorben!" Und das Fernsehen sagt daraufhin: "Mah, oag! Des müss´ma reflektier´n, jetzt müss´ma Sendungen moch´n wie BITTE VERZEIH´ MIR und TRAUMHOCHZEIT und NUR DIE LIEBE ZÄHLT!" - Glaub´ ich nicht, daß sie die Zerstörung der Idee von Privatsphäre so abgespielt hat! - Ein anderes sehr gern gebrauchtes Argument ist - "Ja, die Leute wollen das eben sehen, wenn jemand wirklich weint, wenn jemand richtig verzweifelt ist, die Leute wollen echte Tränen sehen, die Filmtränen reizen doch niemanden mehr!" - Einem Drogenkonsumenten in diesem Stadium würde ich sagen: "Es ist jetzt Zeit für einen Entzug!"